Text von Dr. Giovanna-Beatrice Carlesso, 2024

 

Susa Reinhardts Landschaftsbilder laden dazu ein, über die Bedeutung der Landschaft

in der Kunst, insbesondere in der Malerei, nachzudenken. Der folgende

kunsthistorische Exkurs soll helfen, das Werk der Künstlerin, die auf diese Tradition

Bezug nimmt, zu kontextualisieren.

 

Als Genre eigenen Rechts etablierte sich das Landschaftsbild erst im Laufe des 16.

und 17. Jahrhunderts, seitdem gehört es zu den klassischen Bildgattungen. Zuvor 1

fungierte Landschaft als bloße Kulisse für mythologische, religiöse oder historische

Bildsujets. Aus der Antike sind uns Natur- und Landschaftsbilder insbesondere in der

Wandmalerei überliefert. Im 1. Jahrhundert v. Chr. sprach der römische Architekt

Vitruv die Empfehlung aus, Landhäuser mit Landschaftsdarstellungen an den Wänden

auszuschmücken. Er schrieb der Landschaftsmalerei, sie dem Satyrspiel zuordnend,

eine erholsame und unterhaltende Funktion zu. Auch der italienische Gelehrte und 2

Kunsttheoretiker Leon Battista Alberti (1404–1472) gab, 1500 Jahre später, als Zweck

der Landschaftsmalerei Erholung, Aufmunterung und Erfreuung des Betrachters an.

Bemerkenswert ist, dass seither der Betrachtung von Landschaftsbildern ein

therapeutischer Nutzen, sowohl in physiologischer als auch psychologischer Hinsicht,

zugesprochen wird. Fieberkranken etwa empfahl Alberti, zur Linderung ihrer

Beschwerden, gemalte Quellen und Bäche zu betrachten. Somit diente 3

Landschaftsmalerei nicht zuletzt als Ersatz für den Genuss realer Landschafts- und

Naturerfahrung.

Dass sie dem Bildbetrachter imaginäre Reisen ermöglichte, davon war Kardinal

Federico Borromeo (1564–1631) überzeugt. Die in seinem Arbeitszimmer hängenden

Landschaftsgemälde dienten ihm dazu, die offene und weite Aussicht zu ersetzen. Zu 4

seinem Vergnügen, so berichtet der Erzbischof von Mailand, unternehme er in diesen

Bildern lange, geistige Reisen. Zur Zeit Borromeos entwickelte sich in Rom „eine

Form der Landschaftsmalerei, die nach einer Verklärung der Natur ins Ideale strebte

und oft durch literarische Motive angereichert war“. Von zentraler Bedeutung war 5

hierbei der Arkadien-Mythos, geprägt von Vergils Bucolia (um 40 v. Chr.), einer

Sammlung von Hirtengedichten über das einfache, idyllische Leben in harmonischem

Einklang mit der Natur. Vor diesem Hintergrund wurde in der Malerei des Barock

Landschaft oftmals zum paradiesischen Sehnsuchtsort, zur idealisierten Fluchtwelt

verherrlicht – man denke hier nur an die Bilder Claude Lorrains.

Während Landschaft in der Malerei der Klassik wieder vornehmlich in den

Bildhintergrund trat, erhielt sie in der Zeit der Romantik erneut großen Stellenwert.

Durch Künstler wie Caspar David Friedrich wurde sie zum Ausdrucksträger

menschlicher Gefühle und Gedanken. Friedrichs Werke, wie der berühmte Mönch am

Meer (1808–10) oder Wanderer über dem Nebelmeer (1818), sind keine bloßen

Abbildungen der Natur. Symbolisch, oftmals mit religiöser Bedeutung aufgeladen,

begegnet uns Landschaft in diesen Gemälden als Spiegelbild der menschlichen Seele.

Landschaft ist dabei immer auch geistiger Raum: Caspar David Friedrich evoziert in

seinen Bildern eine kontemplative Atmosphäre von Einsamkeit und Erhabenheit.

Susa Reinhardt greift diese Tradition auf. Ihre Landschaften sind Imaginationen. Auch

wenn die Künstlerin sich, wie sie erklärt, von ihren Italienreisen inspirieren lässt,

stellen ihre Bilder zumeist keine realen Orte dar – vielmehr handelt es sich um

Projektionen innerer Sehnsüchte. Das Arkadische schwingt in Reinhardts

Landschaftsbildern mit: Es sind Vorstellungen von einer idyllischen, aber in ihrer

Idealisierung zugleich unerreichbaren Welt. Arbeiten wie The Gateway oder Way

below the Sky (beide 2024) führen diese Ambivalenz vor Augen. Die von Susa

Reinhardt gewählten Farben, sanft und gleichzeitig leuchtend, vermitteln eine

geradezu traumartige Atmosphäre, in der wir als Betrachter für einen Moment der

harten Realität entfliehen können. Doch auf den zweiten Blick offenbart sich eine

Künstlichkeit, die daran erinnert, dass diese auf Leinwand gebannten Welten nicht real

sind. Hierin liegt, so scheint mir, Reinhardts subtile Reflexion auf die menschliche

Sehnsucht nach Flucht aus dem Alltag, nach Rückzug in eine imaginierte Natur, die

uns Ruhe, Erholung und Sicherheit verspricht.

Bezeichnenderweise wird bei Susa Reinhardt die Landschaft erneut zur Kulisse.

Diesmal jedoch nicht für mythologische oder andere Erzählungen, sondern für die

inneren Geschichten des Betrachters, der dazu eingeladen wird, die oftmals

menschenleere Natur, die die Künstlerin in ihren Bildern in Szene setzt, kraft eigener

Vorstellungskraft zu bespielen. Reinhardt, die an der Stuttgarter Kunstakademie –

bevor sie dort in das Fach ,Freie Malerei‘ wechselte – Bühnenbild studiert hat, betont

im persönlichen Gespräch die Kulissenhaftigkeit der von ihr gemalten Landschaften.

In diesem Sinne schließt sie den Kreis, der in der Kunstgeschichte vor Jahrhunderten

begann und die Landschaftsmalerei im Spannungsfeld von Bildvorder- und

Bildhintergrund verortet: erst in ihrer Funktion als Kulisse, dann nobiliert zum

Hauptmotiv – in Reinhardts Bildern ist sie beides zugleich.

 

Darüber hinaus reflektieren Susa Reinhardts Acryl- und Ölbilder das Verhältnis von

Mensch und Natur. Ihre Arbeiten erinnern uns daran, dass Landschaften immer auch

Konstruktionen sind, die durch den Filter unserer Wahrnehmung entstehen, beeinflusst

von unserer Sozialisierung, unserem kulturellen und historischen Bewusstsein. Denn

„Landschaft ist grundsätzlich mehr als eine bloße Ansammlung von

Naturgegenständen, topografischen Formationen und Farbwirkungen“. Sie ist ein

6 Naturausschnitt, der im Zuge eines ästhetischen Rezeptionsvorgangs zu einer Imago

formiert wird. Mithin ist ihre Wahrnehmung ein schöpferischer Akt, der Landschaft

überhaupt erst als solche hervorbringt: „Das heißt, dass die Landschaft ihren Ort im

wahrnehmenden Subjekt selbst hat.“ Ebendieses ,Kernproblem‘ der Natur- und 7

Landschaftswahrnehmung wird in der Landschaftsmalerei mitverhandelt, auch (oder

gerade!) in Susa Reinhardts Bildern, die keine naturalistische Landschaftsdarstellung

anstreben, sondern durch formale Reduktion und eine stilisierte, konzentrierte

Bildsprache charakterisiert sind.

„Lake Views“ lautet der Titel ihrer im Kunstverein Brackenheim präsentierten

Ausstellung. Der See ist – wie beispielsweise auch das Gebirge im Berg- oder

Alpenbild – Inbegriff des landschaftlich Schönen und Erhabenen und gehört zur

klassischen Motivik der Landschaftsmalerei. Anders als das bewegte Meer, das sich

rau und stürmisch, gar bedrohlich präsentieren kann, symbolisiert der See Ruhe und

Stille, ihm eignet eine meditativ-kontemplative Qualität. In vielen Bildern Susa

Reinhardts sehen wir seine glatte, ruhige Wasseroberfläche. Darunter jedoch verbirgt

sich unergründliche Tiefe, ganz entsprechend dem Sprichwort: „Stille Wasser sind

tief“. Damit lässt sich der See auch als Metapher für das Unbewusste und Verborgene

lesen.

Diesen Punkt gilt es für Reinhardts hier ausgestellten Bilderzyklus zu schärfen. Denn

die Idylle, die sie in ihren Landschaftsbildern inszeniert, hat auch eine Kehrseite.

Hinter der ruhigen und friedlichen Oberfläche lauert unterschwellige Gefahr, die uns

die Zerbrechlichkeit solch perfekter Welten vergegenwärtigt. Mit Vesuv (2019) setzt

Susa Reinhardt diese Spannung ostentativ ins Bild. Im Vordergrund des Gemäldes

sehen wir die ruhige Wasseroberfläche des Golfs von Neapel; im Hintergrund erhebt

sich der titelgebende Vulkan, der eine schmale Rauchschwade in den Himmel entlässt.

Der Himmel ist klar und in sanften Blautönen gehalten, während die Landschaft

weiche, runde Formen aufweist. Eine geschwungene, steinerne Balustrade verläuft

entlang des Meerufers, und ein Baum im Vordergrund des rechten Bildrands rahmt die

Szenerie ein. Die Farben sind hell und pastellartig, was der Landschaft eine friedvolle

und harmonische Atmosphäre verleiht. Jedoch birgt diese friedliche Schönheit

drohendes Unheil: Der Rauch, der in pittoresken Schwaden aus dem Vulkan austritt,

deutet auf eine bevorstehende Eruption hin. Somit thematisiert Susa Reinhardt – bei

aller landschaftlicher Schönheit, die sie zur Darstellung bringt – auch die

zerstörerische Kraft der Natur. „Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen

Anfang, den wir noch grade ertragen“, schreibt Rainer Maria Rilke 1923 in seiner

ersten Duineser Elegie: Schönheit und Schrecken gehen Hand in Hand.

Ganz ähnlich verhält es sich mit Reinhardts Gemälde Smuggler’s Moon (2016). Die

nächtliche Waldszene suggeriert eine ruhig-entspannte, fast mystische Stimmung.

Diese aber wird unterlaufen durch den Titel der Arbeit, der auf unterschwellige Gefahr

hinweist: Mit ihm evoziert Reinhardt die Welt der Schmuggler und Ganoven, die im

Schutz der Dunkelheit ihren riskanten Aktivitäten nachgehen.

Susa Reinhardt schafft mit ihrer Malerei Imaginationsräume. Wie bereits festgehalten,

zielt sie dabei nicht auf eine naturalistische Landschaftsdarstellung ab, die Natur

möglichst genau und realitätsnah wiederzugeben versucht. Im Gegenteil, die von

Reinhardt entwickelte Bildsprache arbeitet mit stilisierten, abstrahierten Formen und

einer leuchtend bunten, geradezu künstlichen Farbpalette. Dabei greift die Künstlerin

auch Einflüsse der Pop Art auf, referenziert Elemente des Comics oder Trickfilms und

führt damit einmal mehr vor Augen, dass Landschaft ein kulturelles Konstrukt ist, im

Spannungsfeld von Wirklichkeit und Imagination. Reinhardts Werke fordern uns daher

dazu auf, Landschaft als das zu begreifen, was sie ist: eine Projektionsfläche für unsere

Träume und Sehnsüchte, Erinnerungen und Fantasien.

 

 

1 Vgl. Bertram Kaschek: Landschaftsmalerei, in: Grundbegriffe der Kunstwissenschaft, hrsg. von Stefan Jordan 

und Jürgen Müller, Stuttgart 2018, S. 217–221, hier S. 217.

2 Vgl. ebd., S. 218. 

3 Vgl. Stefan Bartilla: Die Wildnis. Visuelle Neugier in der Landschaftsmalerei. Eine ikonologische 

Untersuchung der niederländischen Berg- und Waldlandschaften und ihres Naturbegriffs um 1600, Freiburg

2005, S. 48.

4 Vgl. ebd., S. 103. 

5 Kaschek: Landschaftsmalerei, S. 219

6 Ulrike Söllner-Fürst: Das Schreiben des Abenteuers – das Abenteuer des Schreibens. Intermediale Ästhetik und 

7 Medienarchäologie in Alejo Carpentiers Roman »Los pasos perdidos«, Bielefeld 2010, S. 189.

Ebd., S. 190. 

 

 

 

 

Heilbronner Stimme, 20. September 2024

Presse zu der Künstlergruppe "3K-NH", und Michel Majerus, 2022

 

Raimar Stange, Artmagazine

https://www.artmagazine.cc/content123087.html

 

https://www.tip-berlin.de/kultur/ausstellungen/michel-majerus-early-works-absichtsvoll-ausdruckslos/

 

 

 

 Text zur Arbeit von Jasmina Haskic

 

Susa Reinhardts Malerei zeigt konsequent Natur: Bäume, Felder, Schluchten, Seen, Wiesen, Lichtungen. Ihr Interesse gilt der Landschaft als kulturhistorisch geprägten Bildcode, als einem Konstrukt aus unterschiedlichen Zeichen. Susa Reinhardt zeigt ihren eigenen Gegenentwurf zu einer romantischen und mystisch-monumentalen Landschaftsmalerei. Sie erreicht dies durch einen stark an Trickfilm und Comics angelehnten Stil, der eine märchenhafte aber auch unheimliche Atmosphäre schafft.

 

Zunächst kann Susa Reinhardts Kunst als eine Kritik an der traditionellen Idealvorstellung einer erlösenden, idyllischen Natur gesehen werden. Ihre Kritik geht aber weit darüber hinaus, sowohl hinsichtlich der Naturdarstellung im Speziellen und dem Naturbegriff im Allgemeinen. Wie Joseph Kosuth, bei dem Susa Reinhardt studiert hat, beschäftigt sie sich mit den Problemen der Sinneswahrnehmung und dem Verhältnis von Kunst und Realität. Bezüglich der Darstellung herrscht bei Susa Reinhardt die Reduktion auf einfache Zeichen vor, die dennoch unmittelbar als Baum, Wolke, Wiese und Stein wahrgenommen werden und gerade durch ihre starke Formelhaftigkeit den Sehprozess als Summe von regelhaften Identifizierungs - und Ordnungsprozessen offenlegt. Besonders deutlich wird dies in der Serie „Fragment eines Gefühls“ in der jeweils nur das Minimum an Farbe (braun), Form (lang) und Oberflächenstruktur (uneben) gezeigt wird mit dem sich das Identifikationsmoment „Baum“ einstellt. Durch ihre Motivwahl und die Wiederholung verdichtet sich die Arbeit von Susa Reinhardt zu einer Reflexion über das Verhältnis zur Natur, das erzeugt wird durch die Identifizierungs - und Ordnungsprozesse, die bei der Betrachtung von Natur stattfinden. Diese wiederum leiten sich aus einer Funktionsbeziehung ab, die kulturell und historisch veränderlich ist. Die vordergründige Idylle in Susa Reinhardt Bildern gibt genau die Vorstellung der Natur als lieblich und erholsam wider, die unsere Sehnsucht sucht.

 

Susa Reinhardt malt die Natur überzogen bunt und comic-haft, mit oft weichen Konturen, bewohnt von niedlichen Tieren. Diese vermeintliche Idylle bricht sie, indem sie die einzelnen Elemente auf der Bildfläche verstreut oder isoliert, durch ein plastisches Licht, und das Fehlen einer Raumtiefe. Mit spielerischem Gestus und dem Einsatz der Stilelemente aus der Trickfilm und Comickultur entwirft Susa Reinhardt eine Naturdarstellung, die sich bewusst gegen eine lange Tradition der Landschaftsmalerei stellt und eine „eigene“ Bildsprache entwirft.

 

In ihren neuesten Arbeiten zeigt sich Susa Reinhardt Auseinandersetzung mit der Natur bereits in der Wahl des Bildträgers. Als Untergrund für die Darstellung der Natur dient ihr hier nicht mehr die Leinwand, sondern Stoff, den sie zuvor mit Schmutz auf der Straße vorbehandelt. Der Stoff trägt Spuren und Zeichen der Straße die sich im Bild zum Gebirge und Felslandschaft verdichten. Über diesen Schweben jene Symbole unserer Gesellschaft die für die reine, klare Natur stehen: Diamanten und Sterne.